Komet Ison - Ein Jahrhundert-Komet?
Ihr Begleitbuch zum Kometen
Komet ISON
© Kometen.info 2012-2013
Komet Ison - Ein Jahrhundert-Komet?
140 Seiten, EUR 8.90

Komet Kirch (C/1680 V1)

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Schon wenige Tage nach der Entdeckung von Komet ISON fiel auf, dass seine Bahn derjenigen des Kometen Kirch aus dem Jahr 1680 stark ähnelt. Daher wurde die Hypothese aufgestellt, dass beide Schweifsterne eine gemeinsamen Mutterkometen besitzen, der sich vor langer Zeit - u.U. vor Jahrtausenden - bei einer Sonnenpassage geteilt hat. Ob dies wirklich zutrifft, sei dahingestellt. Dass beide Kometen etwa zum gleichen Zeitpunkt (18. Dezember bzw. 28. November) des Jahres in Sonnennähe kommen, ist eine weitere Ähnlichkeit. C/1680 V1 gehört zu den hellsten und eindrucksvollsten Kometen, die jemals beobachtet wurden. Die bislang vorliegenden Daten deuten darauf hin, dass ISON ein vergleichbares Schauspiel bieten könnte. Aus den genannten Gründen lohnt es, sich näher mit Komet Kirch zu beschäftigen.

Der Große Komet von 1680
Der Große Komet von 1680 (Komet Kirch, C/1680 V1) über Rotterdam, gemalt von Lieve Verschuier.
Einige der Beobachter benutzen Jakobsstäbe, wohl zur Vermessung des Kometenschweifs.

C/1680 V1 wurde am 14.11.1680 zufällig von dem deutschen Hobby-Astronomen Gottfried Kirch bei teleskopischen Beobachtungen bemerkt. Es war der erste Komet überhaupt, der nicht mit bloßem Auge, sondern mit optischen Hilfsmitteln entdeckt wurde. Im Laufe der kommenden zwei Wochen wurde das Objekt am Morgenhimmel allmählich heller und entwickelte einen eindrucksvollen Schweif, dessen Länge Ende November über 30 Grad betrug. Komet Kirch erreichte seinen geringsten Erdabstand am 01.12.1680 mit 0.42 AE. Als er am 18.12.1680 in weniger als 1 Million Kilometer Entfernung von der Sonne sein Perihel durchlief, konnte dies am Taghimmel beobachtet werden. Die Helligkeit des Kometen erreichte an diesem Tag wohl -10 mag - nur der Septemberkomet 1882 und Ikeya-Seki 1965 wurden noch heller. Nach ihrer Sonnenpassage waren sie zwar auffällige Objekte am Nachthimmel, aber längst nicht so eindrucksvoll wie z.B. Komet McNaught im Jahr 2007. Dagegen entwickelte sich C/1680 V1 nach dem Perihel zu einer der gewaltigsten Kometenerscheinungen der letzten 1000 Jahre. Er stieg binnen weniger Tage am Abendhimmel steil nach Norden. Um die Weihnachtszeit 1680 erreichte sein Schweif eine Länge von 90°, überspannte also den halben Himmel. Am 05.01.1681 näherte er sich der Erde noch einmal bis auf 0.49 AE an. Bis weit in den Januar hinein stand er als auffälliges Objekt am Himmel und entfaltete auf die Öffentlichkeit eine ungeheure Wirkung, ähnlich wie Hale-Bopp in unserer Zeit. Eine Flut von Traktaten und Einblattdrucken erschienen, zumeist beflügelt von der grassierende Kometenfurcht. C/1680 V1 wurde als Zeichen des nahenden Weltendes, zumindest aber als Mahnung Gottes angesehen; in den Kirchen wurden Bußgottesdienste abgehalten.

Abhandlung zu Komet Kirch
Titelseite einer wissenschaftlichen Abhandlubg über den Großen Kometen des Jahres 1680 von Eusebio Francisco Kino

Ausgerechnet der Komet, der den Aberglauben zu neuer Blüte führte, läutete auch sein Ende ein. Zahlreiche Astronomen beobachteten den gewaltigen Schweifstern mit großer Sorgfalt. Unabhängig voneinander kamen Georg Samuel Dörffel in Sachsen und Isaak Newton in England zu der Schlussfolgerung, dass der Komet sich auf einer parabolischen Bahn um die Sonne bewegt. Zwar hatten schon Johannes Hevelius und Borelli gleiches von dem hellen Kometen der Jahreswende 1664/65 vermutet, doch allgemein herrschte noch Johannes Keplers Auffassung vor, dass sich Kometen auf geradlinigen Bahnen bewegen. Die Kurve, welche Komet Kirch vor aller Augen um die Sonne zog, war jedoch eine klare Widerlegung der Keplerschen Theorie.
Auch Edmund Halley hatte den Schweifstern beobachtet, ebenso wie 2 Jahre später einen weiteren, weniger lichtstarken. Erst in den 1690er-Jahren fand der viel beschäftigte Gelehrte die Muße, seine Aufzeichnungen auszuwerten. Er verglich sie mit Berichten über ältere Kometenerscheinungen und kam zu dem Schluss, dass es sich bei den Kometen von 1456, 1531, 1607 und 1682 um ein und das selbe Objekt gehandelt hatte, das in etwa 76 Jahren auf einer stark elliptischen Bahn um die Sonne kreist. Er wagte die Vorhersage, dass dieser Schweifstern im Jahr 1758 wieder erscheinen würde - und behielt Recht. Zu Ehren Halleys bekam dieser Komet den Namen des großen Astronomen. Für den Großen Kometen des Jahres 1680 gab Halley eine Umlaufzeit von 575 Jahren an, u.a. weil in diesem Abstand für die Jahre 44 v. Chr., 531 und 1106 sehr helle, auffällige Schweifsterne in den Chroniken verzeichnet waren. Kometen, die auf vorausberechenbaren Ellipsenbahnen um die Sonne kreisen, vertragen sich allerdings kaum mit der Vorstellung einer spontanen "Zuchtroute Gottes". Ein gewisser William Whiston rechnete allerdings die 575 Jahres-Periode weiter zurück und gelangte ins Jahr 2346 v.Chr. Dieses Datum lag nahe bei dem von ihm und anderen angenommen Termin der biblischen Sintflut. Folglich, so schloss Whiston messerscharf, hatte der mächtige Himmelskörper die Katastrophe ausgelöst. Natürlich wusste der im Übrigen durchaus gebildete Mann weder, dass Kometen kosmische Winzlinge sind, noch dass die Umlaufszeit von C/1680 V1 wesentlich länger (nach modernen Berechnungen rund 9300 Jahre) ist, als von Halley angegeben. Die letzte Wiederkehr von Komet Kirch hätte noch vor der Erschaffung des Universums stattgefunden, die nach damaliger Auffassung höchstens 6000 Jahre zurücklag ...

Newtons Bahnberechnung
Darstellung der von Isaak Newton berechneten Parabelbahn für den Großen Kometen von 1680.

Steckbrief des Kometen Kirch
Entdeckung: 14.11.1680
Perihel: 18.12.1680, 0.01 AE
Erdnähe: 01.12.1680, 0.42 AE
Neigung der Bahn zur Erdbahn: 61 Grad
Umlaufszeit um die Sonne: 9356 Jahre
Mit bloßem Auge sichtbar: 20.11.1680 - 15.02.1681
Max. Helligkeit: -10 mag
Max. Schweiflänge: 90 Grad

Bahn des Kometen Kirch durch das innere Sonnensystem
Bahn des Kometen Kirch durch das innere Sonnensystem.
Eingezeichnet ist seine Position am Tag der zweiten Erdannäherung.

Vergleich mit Komet ISON
Die Bahnen der Kometen Kirch und ISON sind sich zwar sehr ähnlich, aber nicht vollkommen identisch. Vor allem ist ihre lange Achse etwas unterschiedlich ausgerichtet. Dies führt dazu, dass die Erde Kirchs Bahn bei ihrem jährlichen Lauf um die Sonne früher erreicht als die Bahn ISONs. Da Komet Kirch zudem 20 Tage später im Erdjahr in Sonnenähe kam, erreichte er seine erdnächste Position (0.42 AE) im Unterschied zu ISON bereits vor seiner Perihelpassage. Etwa zu der Zeit als der Komet seine Rendevouz mit der Sonne hatte, kreuzte die Erde eine Bahnebene. Ab diesem Zeitpunkt stand er für Beobachter auf der Erde nicht mehr rechts (westlich) von der Sonne, sondern links (östlich) von ihr. Daher war Kirch vor dem Perihel am Morgenhimmel und danach am Abendhimmel zu sehen. Anfang Januar 1681 näherte er sich der Erde erneut bis auf 0.49 AE an.

Bahnen der Kometen Kirch und ISON durch das innere Sonnensystem
Bahnen der Kometen Kirch und ISON durch das innere Sonnensystem
Bahnen der Kometen Kirch (Symbole) und ISON (weiße Linie) durch das innere Sonnensystem. Eingezeichnet sind die Positionen der Planeten am 01.12.2013.
Oben: Aufsicht auf das Innere Sonnensystem
Unten: Seitenansicht des Inneren Sonnensystems

ISONs Bahnebene erreicht die Erde auf ihrem Umlauf um die Sonne wesentlich später als Kirchs, während der Komet 20 Tage früher als C/1680 V1 durch sein Perihel geht. Dies hat zur Konsequenz, dass ISON nur einmal - nach der Perihelpassage - in Erdnähe gelangt und dass die Erde seine Bahnebene erst kreuzt, wenn der Komet sich bereits wieder weit von ihr entfernt hat. Daher steht ISON sowohl vor als auch nach seiner Sonnenbegegnung von der Erde aus gesehen rechts (westlich) unseres Zentralgestirns und ist somit nicht nur vor, sondern auch nach dem Perihel ein Morgenhimmelobjekt. Da er sich aber rasch nach oben (Norden) von der Erdbahnebene entfernt, taucht er zwei Wochen nach dem Perihel doch noch am Abendhimmel auf.
Insgesamt sind die Beobachtungsbedingungen für ISON etwas ungünstiger, da er nur einmal in Erdnähe kommt. Allerdings ist bei den allermeisten Kometen der Schweif nach der Sonnenpassage stärker entwickelt als davor. Somit kann ISON aufgrund der Bahnlage und der relativen Positionen zur Erde also durchaus ein ähnlich eindrucksvolles Objekt werden wie der Große Komet von 1680. Ob das tatsächlich der Fall sein wird, hängt alleine von der Struktur des Kometenkerns ab, über die wir im Prinzip nichts wissen. Wenn die Kometen Kirch und ISON tatsächlich Bruchstücke eines gemeinsamen Mutterkometen sein sollten, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie sich bezüglich der Ausgasungsrate und Staubabgabe in Sonnennähe weitgehend identisch verhalten. Aber selbst dann kann sich ISON ganz anders entwickeln als sein legendärer Vorgänger. Sein Kern könnte wesentlich kleiner oder aber auch größer sein als derjenige von C/1680 V1. Letzterer ist offenbar in Sonnennähe nicht fragmentiert worden, doch das ist keine Garantie, dass dies bei ISON auch so sein wird. Nach den vorliegenden Bahndaten beider Objekte scheint es so zu sein, dass ISON fast doppelt so weit von der Sonnenoberfläche entfernt bleibt wie Kirch und somit nicht ganz so stark erhitzt werden wird.

Links

Kometen.info: Ison und der Große Komet von 1680 - nicht verwandt oder doch?

James W. Werner: The Great Comet of 1680

Wikipedia: Großer Komet von 1680

Literatur

Seargent, David (2009): The Greatest Comets in History. 260 S., Springer Science & Business Media, New York.

Tammann, Gustav A. & Véron, Philippe (1985): Halleys Komet. 336 S., Birkhäuser Verlag, Basel, Boston, Stuttgart.

Wurm, Karl (1955): Die Kometen. 160 S., Springer-Verlag, Berlin, Göttingen, Heidelberg.